von Philippe Besson
Klappentext:
»Dieses wunderbare, ergreifende Buch spricht von der Erinnerung, ein Buch, das man tief bewegt beendet.« Magazine littéraire
Zwei Brüder, beide unter dreißig, die sich ein wenig aus den Augen verloren haben, zumal sie sehr unterschiedliche Lebenswege beschritten, finden wieder zusammen, als einer der beiden mit einer tödlichen Krankheit ringt. Doch nicht der Außenseiter, der homosexuelle, ist bedroht, sondern der andere, heterosexuelle, erfolgreichere und beliebtere Bruder. Beide setzen sich intensiv mit dieser Unmittelbarkeit, aber auch mit ihrer Vergangenheit auseinander.
In der Begegnung mit dem unvermeidlichen Tod kommen sich die beiden Brüder wieder sehr nahe, bilden eine Symbiose im Leid. Schonungslos, beklemmend und ungeheuer intensiv werden die Grenzen eines technischen Verständnisses heutiger medizinischer Betreuung aufgezeigt. Und übrig bleibt nur die Flucht aus der verriegelten Welt der Gerätegläubigkeit in das Symbol glücklicher Kindertage, ein Haus am Atlantik auf der Île de Ré. Dort sitz auf einer Bank am Meer ein alter Mann, einem Orakel gleich, der beiden in der Erkenntnis ihrer eigenen Geheimnisse hilft. Er ist ein Beobachter und ein Erzähler. Er läßt sein eigenes Leben einfließen in die lakonischen Beschreibungen dieser reizvollen Insel, ihrer Geschichte, ihrer Salzgärten. Und er beobachtet aus der Distanz, deutet auf verschlüsselte Weise eine Schuld an, die den todgeweihten Bruder zu belasten scheint. Ein Buch fern von jedem Klischee, in der Sprache eines Meisters.
Buchcover: © Balk und Brumshagen, Bildmaterial: © „The Sunbaker“, 1937, Max Dupain
Bild: © ›Buchsüchtig-Queerblog‹
Meine Meinung:
Das Buch beginnt mit unendlich vielen Gedanken zur Vergangenheit und Gegenwart. Zu einer Vergangenheit, die wunderschön war und zu einer Gegenwart, die es nicht ist. Die dunkel und endlich da liegt. Und die verschiedene Menschen bedroht, denn nicht nur Thomas hat ein Problem, mit ihm zusammen hat die gesamte Familie eines und das war nur schwer zu ertragen. Zusätzlich zu diesen Problemen sieht sich Thomas einer Vorverurteilung gegenüber, die ich himmelschreiend fand. Was bitte macht es für einen Unterschied, wo und wie man sich eine Krankheit zuzieht? Ärzte sind nicht befugt zu verurteilen. Sie sind verpflichtet zu helfen. Immer und jederzeit. Als ob die Art wie man sich infiziert einen Unterschied machen würde… Erkrankt ist erkrankt und fertig. Und dann noch diese Heimlichtuerei!! Jede*r Erkrankte hat das Recht über alle Diagnosen und Therapien informiert zu werden. Vollständig und unverzüglich. Es kann doch nicht angehen, dass eine*r/m Erkrankten Diagnosen verheimlicht werden, Therapien nicht erklärt werden und er/sie im Unklaren gelassen wird, während Angehörige informiert werden!! Das hat mich direkt wütend gemacht. Und ich war fassungslos über diese arrogante Haltung der Menschen, die helfen und heilen sollen. Und nicht nur ich war wütend, auch Thomas‘ Bruder Lucas war es. Durch diesen wurde die Geschichte erzählt und übermittelte so vor allem seine Gedanken und Gefühle.
Aber auch sein Bruder kam zu Wort und mit diesem sein Ringen um Selbstbestimmung, um Freiheit. Um jedes kleine Bisschen Glück und Frieden, dass ihm während seiner Krankheit nicht gewährt wird. Im Gegenteil, denn sobald er sich entschließt, auch nur ein klein wenig Abwechslung in seinen Alltag zu bringen, wird er sofort wieder von den Ärzten bevormundet und all seine Handlungen werden als therapiefeindlich und damit heilungshemmend eingestuft. Dass man den Menschen vielleicht ganzheitlich behandeln müsste und sich nicht nur auf das Bekämpfen der Symptome versteifen sollte, kommt ihnen nicht in den Sinn.
Mir tat Thomas unendlich leid und ich habe gehofft, dass er die Stärke findet, seinen Ärzten entgegenzutreten und für sich einzustehen. Nicht nur für sich, sondern auch für Lucas.
Die Verbindung der Brüder habe ich als sehr innig wahrgenommen und trotz all der Unterschiede und all dem, dass sie trennt, sind sie eine Einheit, zwei Seiten einer Medaille und all die anderen Familienmitglieder sind außen vor. Manche vergreifen sich im Ton und wünschen, dass die Rollen der Brüder vertauscht wären. Für mich war das unfassbar!! Wie kann man nur so denken?? Wie kann man nur ein Leben als lebenswerter betrachten, als ein anderes? Zumal diese beiden Leben so eng miteinander verbunden sind. Das ist doch nicht zu fassen! Ich weiß, dass Trauer und Angst irrsinnige Blüten treiben können, aber das war schon sehr hart… Zumal die beiden Brüder eine Verbindung haben, wie sie nur selten ist und sehr kostbar. Für mich war es wundervoll beim Lesen zu beobachten, wie sich die Beziehung zwischen Thomas und Lucas entwickelte. Gerade in dieser Extremsituation, in der sie sich befinden und die auch aufgrund des Zeitmangels kaum Spielraum für Lügen und Schönfärberei lässt. Was bleibt sind zwei Menschen, zwei Brüder, die einander offen und ehrlich gegenübertreten müssen, denen die Zeit davon läuft und denen keine weitere Chance eingeräumt wird. Und damit sind sie gezwungen sich zu reflektieren, ihre Vergangenheit aufleben zu lassen und doch ganz im Hier und Jetzt zu sein. Und das war großartig und ergreifend.
Ich habe das Buch als unaufgeregt empfunden, als emotional und ganz wundervoll. Für mich ging es darin um die Liebe und um die Menschen im Allgemeinen und ich empfehle es gerne weiter, da ich es nicht aus der Hand legen konnte und die Geschichte von der ersten bis zur letzten Seiten in einem Atemzug inhaliert habe.
Erscheinungsdatum: 1. August 2005 im dtv Verlag
Seitenzahl Taschenbuch: 169