von Tom Crewe
Klappentext:
Sie wollen ein Buch über Homosexualität schreiben. John und Henry. 1894 ist der eine längst etabliert im Geistesleben Londons, dazu respektabel verheiratet, Vater dreier Töchter. Der andere steht noch ganz am Anfang: seiner Karriere, seiner Ehe mit einer selbstbewussten Intellektuellen. Beide Männer sehnen sich nach Fortschritt, nach einer Zukunft, in der das Denken und das, was es zutage bringt, den gesellschaftlichen Umgang bestimmt, nicht die starren, immergleichen Regeln. Für sie ist dieses Buch ein Schritt nach vorn, ein Schritt ins Freie, doch lauern dort Gefahren. Denn was im Buch gilt, lässt sich nicht weiter ignorieren. So lässt sich John ein mit einem hübschen jungen Mann weit unter seiner Klasse, lustvoll demontiert er seine bürgerliche Existenz, während Henry einsehen muss, dass seiner Frau weit mehr an ihrer besten Freundin liegt. Als ein Skandal die Stadt erschüttert, die Krone interveniert, müssen sie sich fragen: Wie weit gehen für das neue Leben?
Tom Crewe hat einen modernen historischen Roman geschrieben. In fulminanter Sprache und im tiefen Wissen um die Viktorianische Epoche erzählt er von der bis heute fortwährenden Sprengkraft neuer Liebes- und Lebensformen. Ein beeindruckendes Meisterwerk über den Grenzverlauf der Freiheit.
Buchcover: © Anzeiger und Rasp, München; Bildmaterial: © Nini-Treadwell Collection, undatierte Fotografie, Vereinigtes Königreich
Bild: © ›Buchsüchtig-Queerblog‹
Meine Meinung:
Das Buch beginnt mit einem Traum Johns, wie er vermutlich schon eine Million Mal von Millionen Männern in der einen oder anderen Form geträumt wurde. Er ist zwar verheiratet, aber sein Sehnen und Begehren schien anderen als seiner Frau zu gelten. Und so wie John schon im bürgerlichen Leben angekommen war, so befand sich Henry gerade auf dem Weg dorthin. Allerdings schien mir dieser mit der Wahl seiner Frau weitaus mehr Glück gehabt zu haben, denn sie sind sich ähnlich, denken in den gleichen Bahnen und haben die gleichen Werte. Ich habe jederzeit mit einem Knall gerechnet, denn irgendwie erschien mir dieses Arrangement zu perfekt um wahr zu sein. Aber natürlich läuft trotzdem nicht alles glatt zwischen Henry und seiner Frau Edith. Wir könnte es auch, wenn sie doch versuchen sich in ein gesellschaftliches Korsett zu zwängen, das ihnen einfach nicht passt. Schon die ersten Versuche eines „bürgerlichen Lebens“ scheitern katastrophal und ich war mir sicher, dass es auch zukünftig nicht besser laufen würde. John schien mir ein Mann mit zwei Seiten zu sein. Auf der einen der bürgerliche, angepasste Mann und auf der anderen Seite der Mann, der sich mit Männern auf ein Bier trifft und sich von ihnen in dunklen Gassen gegen Hausmauern drücken lässt…
Und dann war da noch Frank, der einen besonderen Platz in Johns Leben einnimmt und mit dem sich etwas entspinnt, dass für die damalige Zeit inakzeptabel war. Und in gewissem Sinne auch gefährlich.
Es wird darüber diskutiert, wie sich die Gesellschaft verändern müsste und wie sehr diese Veränderungen das Leben im Allgemeinen verbessern könnten.
Aber außer Diskussionen und Artikeln passiert nichts. Das ist sicherlich der Zeit geschuldet, aber ich empfand es irgendwann auch als ermüdend. Nicht, weil das Thema nicht wichtig gewesen wäre, sondern eher, weil all das Diskutieren, das Träumen und Hoffen zur falschen Zeit geschah. 1895 wurde Oscar Wilde wegen Unzucht zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt und 1894 wird darüber diskutiert, ob sich Homosexualität nicht doch gesellschaftlich etablieren lässt… Die Gesellschaft ist einfach noch nicht soweit und ich hatte den Eindruck, dass die Bemühungen Johns und Henrys sinnlos sind.
Das Buch war für mich wie eine Speise, die nicht richtig schmeckte, aber bei der verschiedene Aromen unwiderstehlich waren. Es gab Tage, an denen ich das Buch nicht angesehen habe und dann auch wieder Zeiten, zu denen ich es nicht aus der Hand legen konnte. Schließlich habe ich es dann doch abgebrochen, denn es war mir letztendlich zu brav, zu lieb und ich fühlte mich an ein Auto erinnert, welches mit angezogener Handbremse Vollgas geben soll… Es kam einfach nicht in Fahrt. Für mich war es nicht das Richtige, obwohl ich nicht alles schlecht fand. Die Thematik ist auf jeden Fall lesenswert, denke ich. Aber die Umsetzung war leider nicht mein Fall.
Erscheinungsdatum: 29. Oktober 2023 im Insel Verlag
Seitenzahl Taschenbuch: 445