von Jochen Heckmann
Klappentext:
Julian will Tänzer werden. Weit weg von zu Hause entdeckt er sich in Paris neu. Dort taucht er in die Welt der Ballettschulen, Tanzstudios, Bühnen und vor allem ins dortige Nachtleben ein. Zur gleichen Zeit kämpft sich sein Vater zu Hause am Rande des Südschwarzwaldes aus zahlreichen persönlichen Verlusten und einer allgegenwärtigen Einsamkeit zurück ins Leben. Das gelingt ihm nicht – bis er eine Entdeckung macht: Ein Kästchen, das dem Großvater gehört hat, lässt ihn zuerst nach Paris und schließlich gemeinsam mit seinem Sohn nach Berlin reisen. Mitten hinein in die Geschehnisse rund um den Mauerfall im Jahr 1989. Eine Tour, bei der nichts bleibt, wie es war. Jochen Heckmann spielt in seinem Debütroman auf poetische und sinnliche Weise mit Figuren, Zeiten, Perspektiven und Ereignissen, die das 20. Jahrhundert in Deutschland umfassen und sich im schicksalhaften Jahr 1989 bündeln.
Buchcover: © Sergio Vitale; Bildmaterial: © Sergio Vitale, Midjourney
Bild: © ›Buchsüchtig Queerblog‹
Meine Meinung:
Mit den ersten Worten hatte mich das Buch sofort am Haken und ich habe es geliebt. Das Leben pulsierte und nichts außer dem Augenblick hatte Bedeutung. Bis zu dem Moment, in dem sich alles änderte und bedeutungslos werden ließ, denn der Tod schlug zu und Stille breitete sich aus. Und auch an einer anderen Stelle herrschten Stille und Einsamkeit, gepaart mit alltäglichen Problemen und Handicaps, die nur schwer zu bewältigen waren in einer Umgebung, in der alles Vergangenheit und Erinnerung atmete.
Zur Sprache kamen auch die schönen Seiten des Lebens. Paris, mit all seinen Annehmlichkeiten, seiner Leichtigkeit und dem pulsierenden Leben, aber auch mit seinen Schattenseiten, den Dingen, die nicht plangemäß verliefen. Und vor allem kam das Ballett zu Wort, mit seinen Schmerzen, seiner Euphorie und dem, was es mit leidenschaftlichen Tänzer macht, die völlig in Ihrer Arbeit aufgehen und sich darin verlieren. Diese Stellen habe ich aufgrund ihrer Leidenschaft sehr geliebt und habe sowohl die Schmerzen, wie auch die Euphorie, nachfühlen können, denn beides wurde von Jochen greifbar beschrieben.
Und genauso konnte ich nachvollziehen, wie Julian etwas planlos, haltlos im Leben dahinglitt, sich von einem Moment zum nächsten treiben ließ, sich mitreissen ließ vom Moment und den Menschen. Er war nicht direkt passiv oder ließ alles einfach geschehen, vielmehr beobachtete er, probierte aus. Wie in dem Club, den er besuchte. Nur einen Moment länger und er hätte sich in ein Abenteuer gestürzt. Nur eine Sekunde mehr und der Abend, die Nacht, hätten eine andere Richtung genommen. Vielleicht war es besser, dass er diesen Weg nicht ging. Vielleicht wäre das zuviel gewesen, denn auch so verlief der restliche Abend nicht langweilig und brachte Julian viel zum Nachdenken. Über sich, die Menschen, das Leben…
Nachdenken musste er so oder so, denn der Besuch seines Vaters ließ gar nichts anderes zu. Die Gespräche zwischen Vater und Sohn förderten Dinge zutage, die nicht unbeachtet stehengelassen werden konnten und so gewannen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft an Bedeutung.
All diese Dinge hat Jochen Heckmann in wundervolle Worte gehüllt und seine Beschreibungen habe ich geliebt. Gemeinsam mit Julian tanzte ich, saß mit ihm und seinem Vater in einem Pariser Café und atmete die Luft von Paris. Und ich entdeckte mit Julian die unschönen Seiten der Vergangenheit, genauso wie die schönen Seiten der Gegenwart, mit ihrer Euphorie, ihrer Aufbruchstimmung und allem, was dazugehört. Das waren vor allem die Menschen, die Julians Weg kreuzten und dabei mehr oder weniger bedeutend waren. Manche hinterließen Spuren und Eindrücke und manche waren vergessen, sobald sie dem Blickfeld entschwanden.
Zwischen dem Hier und Jetzt war es auch die Vergangenheit, die eine gewichtige Rolle spielte und in der ein buntes, aufregendes Leben, einem im Verborgenen und Verbotenem wich. Ein Leben in einer Zwischen- oder Parallelwelt, das nicht nach außen getragen werden durfte und doch unter der Oberfläche pulsierte und lebendig war. Aber es war auch eine Geschichte über die Reise zu sich selbst und wie schwierig es sein kann zu erkennen, wer man ist, was man will und wie man bei sich selbst ankommt. Auch hier in dieser Geschichte war der Weg das Ziel und führte über mehrere Umwege, durch Schwierigkeiten und blieb dabei immer menschlich, spannend und einfach wunderbar nachvollziehbar. Viele Wünsche entpuppten sich in diesem Buch als Luftschlösser und Unbeachtetes offenbarte erst zum Ende hin seinen Zauber und zeigte, dass es schon immer das Gesuchte war. Aber auch die falschen Wege waren wichtig für die Reise, denn ohne sie hätten Selbsterkenntnis und Erfahrung gefehlt.
Zum Ende des Buches fanden schließlich all die losen Fäden zusammen und bildeten eine Einheit die ich abgöttisch geliebt habe. Genauso wie ich die gesamte Geschichte liebe mit ihren leisen und lauten Tönen, mit ihrer Magie und ihren so wunderbar tiefgründigen Charakteren, von denen ich mich absolut nicht trennen wollte und denen Jochen Heckmann unendlich viel Leben mit seiner poetischen Sprache eingehaucht hat. Ich hoffe sehr auf weitere Bücher des Autors und werde diese hoffentlich genauso lieben, wie ich „tanzen, fallen, fliegen“ liebe.
Erscheinungsdatum: 19. September 2024 im Querverlag
Seitenzahl Taschenbuch: 336