von Oscar Wilde
Klappentext:
»Die meisten Menschen leben für Liebe und Bewunderung. Wir sollten aber durch Liebe und Bewunderung leben.«
Eine erschütternde Geschichte von verratener Leidenschaft. Eine unvergleichliche Liebeserklärung. Und ein Dokument der Unbarmherzigkeit, mit der in einer angeblich zivilisierten Gesellschaft Homosexualität verfolg wurde. Weltliteratur.
Oscar Wildes langer Brief aus dem Gefängnis an seinen früheren Geliebten Lord Alfred „Bosie“ Douglas ist eine Lebensbeichte. Für ihn riskierte Wilde seine Ehe, seine Familie, sein Ansehen, seinen Ruhm und sein Vermögen. Gegen den prüden viktorianischen Zeitgeist setzte er seinen Dandyismus, die Feier der diesseitigen Freuden bis hin zur Verschwendung. Es folgte der Absturz ins Bodenlose: ein öffentlicher Prozess, in dem er zur Unperson gemacht wurde. In dem Band enthalten sind weitere Briefe aus dem Gefängnis sowie die „Ballade vom Zuchthaus Reading“. Oscar Wildes letzte große Dichtung. „Aus der Tiefe“ ist ein einzigartiges Dokument der Selbstbefragung und Läuterung und ein Bekenntnis zu Schönheit und Menschenliebe.
Oscar Wilde wurde 1854 in Dublin geboren. Er war einer der erfolgreichsten und zugleich skandalträchtigsten Schriftsteller des viktorianischen Großbritannien. Wegen homosexueller „Unzucht“ wurde er 1895 zu zwei Jahren Zuchthaus mit harter Zwangsarbeit verurteilt. Nach der Entlassung lebte er verarmt in Paris, wo er 1900 im Alter von 46 Jahren starb.
Mirko Bonné, geboren 1965, lebt als Schriftsteller und Übersetzer in Hamburg. Für sein Werk wurde er vielfach ausgezeichnet. Er übersetzte u. a. Joseph Conrad, Emily Dickinson, John Keats, Grace Paley, Henry James und William Butler Yeats.
Bild: © Buchsüchtig-Queerblog
Buchcover: © Peter-Andreas Hassiepen, München; © Bildmaterial: © Ausschnitt aus einem Porträt von Oscar Wilde, © Private Sammlung, Stefano Bianchetti, Bridgeman Images
Meine Meinung:
Ich mag mir gar nicht vorstellen, welch ein Schock es für Oscar Wilde gewesen sein muss, eine Gefängnisstrafe absitzen zu müssen. Schon auf den ersten Seiten offenbarte sich in den Briefen eine tiefe Verzweiflung und sein absoluter Wille, dieser zu entkommen. Zudem leidet er nicht nur psychisch, sondern auch physisch und trägt bereits zu Beginn seiner Haft schwer an den ersten Folgen, die sich aufgrund mangelnder Behandlung verschlimmern. Und trotzdem reflektiert er in denen von ihm geschriebenen Briefen sein Leben bis ins kleinste Detail und geht darin vor allem mit Lord Alfred „Bosie“ Douglas hart ins Gericht. Ihm schien er eine Art Starre zu verdanken, die ihn vom Schreiben und irgendwie auch vom Leben abhielt. Auf mich wirkte es wie eine sehr einseitige Freundschaft, in der „Bosie“ nahm und nahm und Oscar Wilde immer mehr und mehr gab, bis nichts mehr übrig war, was er noch hätte geben können. Und so lasen sich Oscar Wildes Worte wie eine Abrechnung mit „Bosie“ und der Beziehung, die zwischen den beiden Männern bestanden hatte. Ich habe diesen Bosie allein aufgrund Oscar Wildes Worten richtiggehend gehasst. Für mich war er ein Schmarotzer. Ein gieriges Ekel, dass nur die Befriedigung seiner Bedürfnisse gesehen hat und das niemals genug bekommen konnte. Nach jedem erfüllten Wunsch wuchsen zwei neue nach und verlangten nach Erfüllung. Und Oscar Wilde hat es zu spät gesehen und realisiert. Zu spät, um dem Ganzen Einhalt zu gebieten und die Beziehung an einem Punkt zu beenden, an dem sich der Schaden noch in Grenzen gehalten hätte. Wie ekelhaft sich Bosie Oscar Wilde gegenüber immer wieder verhalten hat, war teilweise beim Lesen schwer zu ertragen. Er ließ ihn in Momenten allein, in denen Oscar Wilde seiner Hilfe bedurft hätte und stellt seine Bedürfnisse beständig an erste Stelle und er kostete Oscar Wilde sogar Freundschaften und schadete ihm immer mehr. Natürlich bin ich mir bewusst, dass man in diesem Buch nur eine Seite der Geschichte liest und vor allem auch verletzte Gefühle Wildes Worte geformt haben. Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo zwischen den Zeilen und ob Bosie das personifizierte Böse ist, wage ich zu bezweifeln. Irgendwas an ihm muss anziehend gewesen sein, sonst wäre es nicht zu einer Liaison zwischen ihm und Oscar Wilde gekommen.
Der Autor reflektiert sein Leben, sein Denken und Handeln in diesem Buch und er lässt dabei sehr tief in seine Seele blicken. Viele seiner Worte habe ich geliebt. An einer Stelle im Buch (S. 169, Hardcover-Ausgabe, 1. Auflage 2023) schreibt er „Die meisten Menschen leben für Liebe und Bewunderung. Wir sollten aber durch Liebe und Bewunderung leben.“ und diese Worte sind für mich unendlich wahr. Wieviel besser wäre die Welt, wenn die Menschen weniger egoistisch wären und sich um einander kümmern würden… An manchen Stellen im Buch habe ich regelrecht vergessen, dass die Briefe vor beinahe 130 Jahre geschrieben wurden. So vieles darin ist aktuell und zeigt, dass die zwischenmenschlichen Beziehungen sich nicht grundlegend geändert haben.
Genauso wenig, wie die Bedürfnisse der Menschen nach Liebe, Wärme, Sicherheit und all den anderen Dingen, die ein Leben lebenswert machen. Umso beklemmender war es zu lesen, dass Oscar Wilde auf all diese Dinge verzichten musste und wie sehr ihn das getroffen hat.
Und doch hat er in all diesem Leid, dass er erfahren musste, doch noch unendlich klar seine Beziehung zu Bosie reflektiert und auch wenn man an vielen Stellen des Buches die verletzten Gefühlen herauslesen kann, so sind manche Stellen doch fast nüchtern geschrieben und lassen weder Bosie noch seine Familie in einem guten Licht stehen. Diese Menschen haben Oscar alles gekostet. Sein Vermögen, seine Freiheit, seine Gesundheit, seine Familie, seine Freunde… Er hat einfach alles verloren, war er hatte und liebte.
Mit der Anklage, dem Prozess und dem daran anschließenden Gefängnisaufenthalt, haben sie ihm alles genommen. Und dass Bosie das scheinbar sehenden Auges akzeptiert hat, hat mich unendlich geschockt. Was mich allerdings noch mehr schockte, ja regelrecht fassungslos werden ließ, waren die Beschreibungen Oscars die Zustände im Gefängnis betreffend. Diese waren haltlos, unmenschlich und schadeten den Inhaftierten in mehr als einer Weise. Sie bedrohten Leib und Leben und fielen für mich unter den Begriff der Folter. Die Sanitäranlagen sind eine Katastrophe, wenn sie denn überhaupt vorhanden sind, die medizinische Versorgung verdient diese Bezeichnung nicht einmal im Ansatz und die Verpflegung ist unfassbar schlecht, unzureichend in Menge und Nährstoffen. Dazu noch die fehlende Bewegung und die katastrophalen Unterbringungen. Alles zusammen schafft die Hölle auf Erden, in der selbst Kinder untergebracht sind. Es war grausam Oscars Schilderungen zu lesen und zu wissen, wie Menschen unter diesen Umständen gebrochen wurden und den Verstand verloren. Als Menschen gingen sie ins Gefängnis und als seelische, geistige und körperliche Wracks verließen sie es wieder. Wenn sie es denn überlebten…
Von Resozialisierung war die Behandlung der Gefangenen weit entfernt. Es mangelte an allem. Essen, Hygiene, Licht, Wärme… Sämtliche Grundbedürfnisse eines Menschen wurden mit Füßen getreten und sollten am Ende geläuterte Menschen hervorbringen. Was diese Behandlung hervorbrachte, waren aber keine geläuterten Menschen, sondern wahnsinnig gewordene Individuen, denen man damit ein normales Leben völlig unmöglich gemacht hat. Und die daran zugrunde gingen.
Nicht nur die Worte der Briefe waren interessant und erschütternd an diesem Buch, auch das Nachwort war es. Gewährte es doch noch einmal einen Einblick in das Leben des Schriftstellers und zeigte, wie erfüllt es bis zu jenem schrecklichen Tag seiner Inhaftierung war. Das Buch ist auf keinen Fall etwas für schwache Gemüter und gerade deswegen empfinde ich es als absolut lesenswert.
Erscheinungsdatum: 23. Oktober 2023 im Carl Hanser Verlag
Seitenzahl Hardcoverausgabe: 368