von Pol Guasch
Klappentext:
Der aufsehenerregende Debütroman von Pol Guasch: „Eine einzigartige Stimme, zugleich sanft und ausdrucksstark, frisch und bereits reif.“ (Le Monde)
„Die Welt ist riesig und wunderbar, voller dunkler, runzliger Früchte an den Bäumen und walnussgroßer Mücken, die meine Beine umschwirren. Das Böse in der Welt ist schon geschehen. Die Wörter gewannen in meinem Kopf. Die Felsen waren mit Blumen besprenkelt, die harzig verfaulten und auf der Oberfläche vertrockneten wie Fossilien. Ich fühlte meinen Herzschlag hinter meinen Augen. Meine Hände kribbelten. Und ich sah die Augen der Tiere, die sich im Unterholz verbargen.“
Beschreibung des Verlags:
Eines Nachts kommt es in einer Fabrik zu einem ohrenbetäubenden Knall, ein gleißendes Licht macht die Nacht zum Tag, und von diesem Moment an wird die Heimat des Erzählers zu einer militarisierten Zone, in der die Grenze zur Wildnis zu verschwimmen droht und in der es nicht immer einfach ist, Opfer und Henker voneinander zu unterscheiden. Mehr als 900 Tage sind seit diesem Vorfall vergangen, und in der Trostlosigkeit der totalitären, gewalttätigen Welt, in der der Erzähler mit seiner Mutter lebt, gibt es für ihn nur einen Trost: seine Liebe zu Boris. Doch diese ist in ihrem Gebiet eine verbotene, wie auch die Sprache, die die beiden sprechen, nicht mehr erlaubt ist. Durch Briefe und heimliche Treffen in einem „Rattenzimmer“ versuchen sie, beides zu erretten, ihre Liebe und ihre Sprache – bis sie erkennen, dass ihnen nur eine Flucht auf die „andere Seite“ bleibt. Zusammen machen sie sich auf den Weg, mit ihnen die Last der Vergangenheit in Form eines Briefes – und einer Leiche.
In einer präzisen, poetischen, so schönen wie manchmal auch drastischen Sprache schildert Pol Guasch das Leben in einer post-apokalyptischen, totalitären Umgebung und ihre vielfältigen Unterdrückungen – und wie zwei junge Männer versuchen, für sich eine neue Welt zu erschaffen.
Buchcover: © Eva Mutter; Bildmaterial: © Eva Mutter
Bild: © ›Buchsüchtig Queerblog‹
Meine Meinung:
Die Geschichte beginnt mit einer Fülle an Gewalt, deren verschiedene Formen beschrieben werden. Darauf folgte die Schilderung eines kleinen Teils der Grausamkeiten, die Menschen sich gegenseitig antun. Immer wieder und wieder. Zusammen mit den Worten die der Autor dafür nutzte war das für mich eine explosive Mischung, denn Grausamkeit und Gewalt in so etwas wie Poesie zu verpacken ist speziell und ich fand es großartig beschrieben, auch wenn es beinahe unerträglich war. Aber wie Pol Guasch seine Worte einsetzte, war großartig und habe es von Anfang an geliebt. Der Erzähler berichtet von der Einsamkeit die er empfindet, weil er nicht ist wie die anderen, sich für andere Dinge interessiert und seine Mitmenschen wie von außen betrachtet. Er steht daneben, aber ist nicht dabei. Er sieht und hört zu, aber bleibt allein. Dabei hat er einen wachen Blick und erfasst messerscharf, was um ihn herum geschieht. All das wird in kurzen, nicht unbedingt zusammenhängenden Kapiteln geschildert, die sich ergänzen und so ein Ganzes schaffen. Diese kleinen Einblicke in das Leben waren für mich spannend und einige habe ich tatsächlich mehrmals gelesen, weil sie mich nicht gehen ließen und etwas in mir bewegten.
In diesem Buch ging es auch um den Überlebenskampf der Familie des Erzählers. Diese schlägt sich immer irgendwie durch und führt somit ein von vielen kleinen und großen Taten angefülltes Leben, welches Sie immer weiter und weiter trägt, während sie sich immer wieder auf Neue behaupten müssen, um nicht unterzugehen. Und natürlich greifen auch die starren Geschlechterrollen um sich und definieren, was angeblich einen Mann ausmacht und wie sich scheinbar eine Frau definiert. Aber all diese irgendwie unbeugsamen Rollen bedeuten nichts, wenn die Gefühle etwas anderes wollen und so sehr auch versucht wird in irgendetwas hineinzupassen, so sinnlos ist das alles.
Ein roter Würfel wird niemals ein grüner Ball, und wenn man ihn noch so sehr zwingt. Immer gibt es Schlupflöcher, durch die man zu den Dingen gelangt, die man will und so war es auch in diese Buch.
Alles Sehnen und Verlangen fand im Verborgenen und Geheimen statt, aber suchte sich immer einen Weg und ließ sich nicht bezwingen. Wenn auch nur bei versteckten Treffen, an dafür ungeeigneten Orten. Aber es gab diese Treffen. Heimlich. Hastig. Heftig. Verboten…
Für mich ist es vor allem ein Buch über das Leben und die Menschen. Darüber, wie es Ihnen ergehen kann und so traf ich darin auf Verlust und Trauer. Und auf verborgene Dinge, wie die Sprache der Mutter, die sie nicht sprechen darf. Und ich traf auf Selbstreflexion, die nichts besser machte, nur verständlicher. Und natürlich auf Leid in so vielen Formen, dass es mich erschütterte, denn die Worte mit denen dieses beschrieben wurde, waren präzise, manchmal nüchtern und sehr direkt. Schnörkellos und damit sehr viel treffender, als wenn sie mehr umschrieben als beschrieben hätten. Was Menschen Menschen manchmal antun, ist unfassbar. Und was diese Taten mit den Menschen machen ist es umso mehr. In dieser Geschichte zeigte sich, dass Leben immer auch Kampf bedeutet. Entweder darum, dass etwas erhalten bleibt oder darum, dass etwas nicht geschieht. Und sehr häufig werden diese Kämpfe verloren. Menschen verschwinden, Orte verschwinden. Und hin und wieder verstummen die Menschen. Sie sind dann noch vorhanden, aber trotzdem nicht mehr anwesend. Und doch ging es hier auch um die Liebe und um das, was sie mit den Menschen anstellt und wozu sie sie befähigen kann, wenn sie die Angst besiegt.
Ich habe das Buch sehr genossen und es zählt seit dem ersten Lesen zu meinen Lieblingsbüchern, da es außerordentlich atmosphärisch dicht geschrieben ist und ich in jeder Sekunde hautnah dabei war. Mehr als einmal hat es mir die Tränen in die Augen getrieben und mehr als einmal habe ich Passagen zwei- und dreimal gelesen, weil ich mich nicht trennen wollte und bei jedem Lesen Neues entdeckt habe.
Erscheinungsdatum: 24. Juli 2024 im Wallstein Verlag
Seitenzahl Taschenbuch: 260