von Douglas Stuart
Klappentext:
Der Bookerpreisträger Douglas Stuart erzählt von der Liebe zweier Jungen in einer von Gewalt geprägten homophoben Welt. „Ein Meilenstein des Sozialrealismus im jungen 21. Jahrhundert.“ (Christian Baron, Der Freitag)
Für die hypermaskuline Welt der Arbeiterviertel im Glasgow der 90er Jahre ist Mungo zu hübsch und zu sanft. Sein Bruder Hamish, gefürchteter Bandenführer, will ihn zum Mann machen und schleift ihn zu den brutalen Kämpfen zwischen Protestanten und Katholiken – nur wer hart genug ist, kann hier überleben. Dann trifft Mungo auf James und mit ihm kann er sein, wie er ist. Mit ihm lernt er ein Begehren kennen, das geächtet ist, das ihn mit Scham erfüllt, aber auch mit Glück, das er selbst vor seiner Schwester Jodie verleugnen muss, mit der er sonst alles teilt. Denn die Liebe, die zwischen den Jungen wächst, ist lebensgefährlich – und zugleich ihre Rettung.
Ein großartiger Roman über Liebe in einer von Gewalt geprägten homophoben Welt und die Verheißung von Aufbruch und Befreiung.
Buchcover: © Anzinger und Rasp, München; Bildmaterial: © Wolfgang Tillmans
Bild: © ›Buchsüchtig-Queerblog‹
Meine Meinung:
Gleich auf den ersten Seiten war es wie ein Nachhausekommen nach langer Zeit, obwohl ich noch nie in Glasgow, oder überhaupt in Schottland war. Douglas Stuart beschreibt so unendlich bunt und lebendig, dass ich den Eindruck hatte, Teil des Buches zu sein. Seine Figuren sind lebendig, menschlich und so geschrieben, dass es mich nicht gewundert hätte, wenn sie plötzlich neben mir gesessen hätten. Ich habe von Anfang an jeden Moment der Geschichte erlebt, denn Douglas Stuart lässt nichts aus. Vielmehr gewährt er im Jetzt und Hier immer wieder Einblicke in das Damals und strickt so eine dichte, mitreißende Geschichte um Mungo, der etwas melancholisches anhaftet und bei der ich sofort den Eindruck hatte, dass die trügerische Idylle sich bald in etwas Schreckliches verwandeln würde. Mungo kam mir vernachlässigt und beinahe vergessen vor und ich denke, dass er nur deshalb nicht vor die Hunde ging, weil es immer mal wieder Menschen gab, die sich seiner annahmen.
Mit meiner Vermutung hatte ich Recht, wie ich bald feststellen konnte. Überall schwelen Konflikte und werden ausgetragen. Das alte Lied der Katholiken gegen die Protestanten wird angestimmt und findet begeisterte Zuhörer, die in diese Litanei einstimmen. Und natürlich kommt auch die Homophobie nicht zu kurz, die immer gerne unterschwellig angebracht wird um Menschen zu beleidigen und zu erniedrigen. Zudem schlich sich noch die Perspektivlosigkeit Mungos und seiner Freunde ein, der sie mit Zerstörungswut begegnen. Und auch mein Verdacht, dass Mungo vernachlässigt wird, bestätigte sich. Seine Mutter versagt auf ganzer Linie und ohne seine Schwester wäre er sicher vor die Hunde gegangen. Überhaupt war ich wütend auf Mungos Mutter, die sich einen Scheiß um ihre Kinder kümmert. Sie überlässt sie sich selbst und schiebt jede Verantwortung von sich. Ich denke aber auch, dass sie es gerne besser gemacht hätte, wenn sie gekonnt hätte. Sie schien mir auch nur ein Opfer zu sein. Und trotzdem habe ich ihre Schwäche gehasst.
Eigentlich kümmern sich nur seine Schwester und sein Bruder um Mungo und das, obwohl sie selbst nicht klarkommen und ihre eigenen Probleme haben. Sein Bruder wollte etwas aus sich machen, studieren, Erfolg haben. Aber er wird kleingehalten und ihm werde seine Träume und Fähigkeiten abgesprochen. Von den Geschwistern ist einzig Mungo noch zuversichtlich und glaubt an seine Träume. Sein Bruder und seine Schwester haben ihre unter all den Druck irgendwann begraben und resignieren. Gerade bei seine Bruder ist das eine Entwicklung, die sich auch in der Grausamkeit ausdrückt, die er Mungo entgegenbringt. Seine falsche Freundlichkeit hat bei Mungo Spuren hinterlassen und aus diesem einen misstrauischen Menschen werden lassen.
Es ist eine homophobe Welt, in der das Buch spielt und in der sich Mungo behaupten muss. Und auf der anderen Seite auch eine brutale Welt, in der Mungo auf verschiedene Art angegriffen wird. Unter anderem in einem Rahmen, in dem er sich sicher wähnte. Unaussprechliches wird ihm angetan, brutal, gnadenlos.
Von Menschen, bei denen er sich sicher wähnte und denen er vertraute. Zudem wurde das Ganze von Douglas Stuart mit wenigen Worten, beinahe nüchtern beschrieben, was das Geschehen nur noch brutaler werden ließ und mich fassungslos machte. Die nachfolgenden Szenen, was Mungo danach widerfuhr, waren nicht weniger unerträglich. Schuld wird ihm eingeredet, es sei sein Wille gewesen und dass es doch gar nicht so schlimm gewesen sei. Ich hätte kotzen wollen. Ein Kind wird zerstört, gebrochen, weggeworfen und es wird alles heruntergespielt und ins Gegenteil verdreht. Menschen können so widerlich sein…
Später im Buch war es eine sehr zarte Annäherung, die ich wunderschön fand. Vorsichtig war sie, sanft und sie setze alles auf’s Spiel. Genauso wie die Kämpfe, die in diesem Buch manchmal sehr leise und manchmal wahnsinnig laut sind. Einige sind nach innen gekehrt und einige betreffen das Umfeld. Und ich hatte den Eindruck, dass sie nur ihre Sinnlosigkeit und Aussichtslosigkeit vereint. Es gab mehrere Stellen, bei denen sich mir die Kehle zuschnürte. Und es gab auch Stellen in dem Buch, bei dem mir aufgrund sinnloser, menschenverachtender Brutalität die Tränen über die Wangen liefen. Gutes wird zerstört, mit Füßen getreten, in der Dreck gezogen und verurteilt und ich habe mich hilflos gefühlt. Hilflos, weil ich nichts dagegen unternehmen konnte und dieser sinnlosen Gewalt nicht entgegensetzen konnte. Ich konnte nur zusehen und hoffen.
Noch während des Lesens zog „Shuggie Bain“ bei mir ein, denn ich hatte mich zu diesem Zeitpunkt schon rettungslos in Douglas Stuarts Sprache verliebt. Er schafft Bilder mit Worten und ich habe es geliebt, dass ich beim Lesen des Buches unendlich nah an seinen Protagonist*innen war. Besonders Mungo habe ich mich wahnsinnig nah gefühlt, da Douglas Stuart ihn lebendig und menschlich gezeichnet hat. Er ist weder perfekt noch ein Heiliger. Er ist ein Mensch voller Liebe, Fehler, Sehnsüchte… Er ist wie alle. Und gleichzeitig unvergleichlich anders. Im positiven Sinne.
Mir ging dieses Buch unter die Haut. Es hat mich aufgewühlt, wütend gemacht. Es hat mich hoffen und hoffnungslos werden lassen. Es hat geglitzert und tiefschwarz geleuchtet… Ich habe vier Tage für die 400 Seiten gebraucht. Manchmal konnte ich nicht weiterlesen und brauchte eine Auszeit. Aber trotzdem, oder vielleicht eher genau deswegen, empfehle ich das Buch auf jeden Fall weiter. Es ist harte Kost, obwohl es zarte und sanfte Stellen hat. Und es lohnt sich, das Buch zu lesen und die Worte des Autors aufzusaugen und wirken zu lassen. Nach der letzte Seite habe ich noch lange über die Geschichte nachgedacht. Über Begriffe wie Stärke, Schwäche, Liebe, Familie, Freundschaft… Glaube…
Ich wünschte, ich könnte dieses Buch noch einmal entdecken. Ich habe es nur zögerlich und sehr ungern gehen lassen.
Erscheinungsdatum: 20. Februar 2023 bei Hanser Berlin
Seitenzahl Taschenbuch: 416