von Vanessa Carduie, EF v. Hainwald, A.C. LoClair und Chii Rempel
Klappentext:
Zeiten ändern sich – Menschen jedoch nur selten.
Die Errungenschaften der modernen Wissenschaft scheinen die Tore in eine aufregende Zukunft zu öffnen. Doch alle Technik des Universums kann die Menschen nicht vor ihren Sehnsüchten befreien.
Um seine Schwester zu retten, lässt sich ein Polizist auf einen Handel mit einem wortwörtlich „unmenschlichen“ Verbrecher ein. Die irrationale Sehnsucht nach einer KI verwischt die Grenzen zwischen Realität und virtueller Welt. Wenn die Familie über mehrere Epochen verstreut ist, dann braucht es unkonventionelle Maßnahmen, um dem eisernen Griff der Zeit zu entkommen. Eine seltsame Nachricht vom eigenen Ich führt einen Klon zu einem intergalaktischen Teehaus, das sein Wesen zutiefst erschüttert.
Eine Anthologie aus Science-Fiction-Novellen, mit einem queeren Twist.
Buchcover: © Phantasmal Image unter Verwendung einer Grafik von © Tithi Luadthong
Hintergrund: © covervault.com
Meine Meinung:
*** „Refabricated“ von Chii Rempel ***
Mit Wyatt lernte ich jemanden kennen, den ich sofort sympathisch fand und der mir auch leid tat, da seine Situation nicht gerade günstig ist. Und dabei kann er absolut nichts dafür, gibt sich alle Mühe und hat doch keine Chance sein Schicksal positiv zu beeinflussen. Storm lässt ihm einfach keine Chance und das konnte ich sogar sehr gut verstehen. Nach dem was ihm passiert ist, hätte ich mich sicher nicht anders verhalten. Beide sind in einer Situation gefangen, die unweigerlich irgendwann eskalieren müsste, wenn kein Wunder geschähe und alles sich irgendwie aufklärte. Storms Schmerz ist einfach zu allumfassend und gegenwärtig, als das irgendetwas anderes noch sehr viel Platz in seinem Leben einnehmen könnte. Seinen Verlust hat er noch nicht verarbeitet und er verweigert auch jeglichen Trost. Das konnte ich nachvollziehen, aber er macht sich dadurch seine Situation nur noch schwerer, als sie es ohnehin schon ist.
An einem Punkt der Geschichte sah es dann für einen Moment so aus, als wenn es wieder leichter für Storm werden könnte, aber dieser rang sehr mit sich und der Situation, in der er sich befand. Wyatt machte es ihm auch nicht gerade leichter, denn durch ihn wird Storm durch vor Augen geführt, was nie wieder sein kann und was er für immer verloren hat. Aber auch, wie sehr er einmal geliebt wurde und wie sehr sich um ihn gesorgt wurde und immer noch gesorgt wird. Die Lösung Wyatts empfand ich als sehr klug und vor allem auch perfekt für Storm. Auch wenn dieser nicht sehen konnte, welches Geschenk er damit erhalten hat und was das für ihn, seine Zukunft und sein Leben bedeuten konnte.
Der Titel passt perfekt zur Geschichte und auch die Idee des Ganzen mochte ich. Genauso wie ich Storm mochte, den ich wirklich von Anfang bis Ende verstehen konnte. Eine schöne Geschichte, mit einer coolen Lösung für ein Problem, dem wir uns alle irgendwann in der einen oder anderen Form gegenübersehen werden. Der perfekte Einstieg in dieses Buch und ich liebe die Geschichte und ihre Botschaft sehr. Genauso wie den Schreibstil Chiis, der für mich ganz wunderbar zu lesen war.
*** „Skinwalker“ von E. F. von Hainwald ***
Auch in der Zukunft scheint sich nicht viel geändert zu haben. Die Menschen tauschen immer noch Lebenszeit und ihre Arbeitskraft gegen Geld ein, um sich von diesem Dinge zu leisten, die sie von ihrer Arbeit ablenken. Und je mehr sie arbeiten, desto mehr Geld brauchen sie für ihre Freizeit. Alles dreht sich nach wie vor in einem Teufelskreis.
Zum Teil haben sich die zwischenmenschlichen Beziehungen verschoben, da man sich sein Gegenüber quasi downloaden kann und nicht länger gezwungen ist, reale Menschen zu treffen. Allerdings zeigte sich für mich darin auch das Ausmaß der Einsamkeit, mit dem die Menschen der Zukunft scheinbar zu kämpfen haben. Wenn ein Computerprogramm die wichtigste Beziehung im Leben eines Menschen darstellt, kann es mit den realen zwischenmenschlichen Beziehungen nicht mehr weit her sein. An sich eine sehr traurige Vorstellung, da die gemeinsame Zeit nur mit Geld erkauft werden kann. Die strahlende Zukunft hat sich in ihr Gegenteil gekehrt und beherrscht noch lange nicht die gesamte Welt der Menschen. Alles Strahlende, Wundervolle und Fortschrittliche ist von Chaos, Dreck und Armut umgeben.
Der wundervolle Teil der Welt ist die Heimat von Raku, der sich in ihr recht gut eingerichtet hat und ich war froh, als er in der realen Welt auf Lenn traf, der weitaus realer, greifbarer und ehrlicher war als alles, was ich bisher in dieser Geschichte kennengelernt hatte. Wie er diesen allerdings missbrauchte, drehte mir den Magen um. Nicht nur weil er damit Grenzen überschritt die niemand überschreiten sollte, sondern vor allem auch, weil er sich selbst etwas vormachte und es nicht einmal sah. Seine Handlungen entwickeln ein Eigenleben und sind unendlich selbstsüchtig und sein Verhalten Lenn gegenüber kann ich nur als absolut asozial und menschenverachtend bezeichnen, für das es in meinen Augen keine Entschuldigung gibt. Nur weil er eine Erlaubnis bekommen hatte, erwarb er damit nicht unweigerlich das Recht so zu handeln, wie er es tat. Er ist blind gegenüber allem, was nicht seiner Gier und der Befriedigung dieser dient.
Sozialkritisch auf sehr vielen Ebenen, wenn man genau hinsieht und versteht zwischen den Zeilen zu lesen. Ich mochte die Geschichte sehr gerne, da sie in diesem Punkt absolut meinem Geschmack entsprach. Und auch die Entwicklungen zwischen Lenn, Raku und Noa waren spanned. Anfangs habe ich sie bis auf’s Blut gehasst und zum Ende hin abgöttisch geliebt. Wie sich alles zusammenfügte und schließlich Sinn ergab, war ganz wundervoll und ich hätte gerne weitergelesen, da ich mich nicht von den drei Männern trennen wollte, die so unterschiedlich sind und deren Weg ich sehr gerne begleitet habe.
*** „Grace of Time“ von A. C. LoClair ***
Ich empfand es als eigenwillig, dass sich scheinbar auch in der Zukunft wenig geändert hat und es selbst dort Menschen gibt, die der ‚guten, alten Zeit‘ etwas abgewinnen können und sich aufgrund Ihrer Neugier in Gefahr begeben. Zeitreisen scheinen nach wie vor für einige Menschen verlockend zu sein und auch wenn Rex und Hannes nicht völlig unvorbereitet loszogen, so hatte ich doch den Eindruck, dass sie viel zu romantisch in Ihr Abenteuer im 14. Jahrhundert starteten. Wie man sich mit derart verklärten Ansichten in Gefahr begeben kann, erschließt sich mir nicht. Sie hatten keine großen Chancen und fanden sich sehr schnell in einer Situation wieder, die ich vermutet hatte. Bedauern konnte ich sie nicht, denn sie hatten sich Ihr Schicksal selbst gewählt und wer so blauäugig loszieht, fliegt unweigerlich auf die Fresse. Es war leider sehr vorhersehbar. Auch blieben sie mir erst einmal gleichgültig und ich konnte keine Verbindung zu ihnen aufbauen, wodurch mich Ihr Schicksal auch nicht weiter tangierte.
Einige Seiten später wurde es dann besser mit mir und der Geschichte, als Avery die Wunder moderner Hygiene entdeckte. Das war teilweise sogar witzig. Und auch sonst ging es ein wenig bergauf, als nach der ersten Hälfte der Story etwas Spannung aufkam. Es wurden Geheimnisse aufgedeckt und Entscheidungen getroffen, nach denen gehandelt wurde. Und trotz allem, hat mich die Geschichte nicht gefesselt, da ich einfach keinen Bezug zu den Protagonisten aufbauen konnte. Auch muss ich sagen, dass ich mir unter dem Titel „Touch of Utopia“ einfach utopische und meinetwegen auch dystopische Geschichten vorgestellt habe und weniger eine Geschichte, die mich ins spätmittelalterliche Schottland mitnimmt.
*** „Red Moon Rising“ von Vanessa Carduie ***
Die Geschichte wird im ersten Teil von Alec erzählt. Wenn man „Shadowhunters“ kennt, wird man Parallelen erkennen. Auch wenn Alec und Maeve nicht auf der lichtdurchfluteten Seite stehen. Alec war nicht unsympathisch und ich war anfangs gespannt, wie es mit ihm weitergehen würde. Nach Alec lernte ich Josh kennen, der das Herz am rechten Fleck hat und von seinen privaten Problemen belastet wird. Durch ihn erfuhr ich auch, wie die Menschheit in die Situation geriet, in der sie sich gerade befindet und mein Mitleid hielt sich in Grenzen. Mit Arroganz fällt man irgendwann auf die Schnauze und genau das ist den Menschen in dieser Geschichte widerfahren, als sie der Natur dazwischenfunkten, sich über andere stellten und glaubten die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben. Sie haben bekommen, was sie verlangt haben. Ich fand es nur gerecht und konnte die Menschen nicht bedauern. Es wurde geliefert, was bestellt wurde. Blöd gelaufen für die Menschen, aber nachvollziehbar und gerecht.
Wie sich zeigte, hat Alec auf Josh eine nahezu magische Anziehungskraft, der dieser nicht widerstehen kann. Typisch für Vampire, die doch immer daran interessiert sind ihre Opfer zu betören, um deren Blut trinken zu können. Mich verwirrte etwas, dass einer der Protagonisten manchmal Alec und manchmal Alex hieß. Ich habe nicht herausgefunden, warum das so ist. Aber dafür mochte ich diesen Charakter mit seiner selbstbewussten Art. Er nimmt sich was er will. Allerdings nicht selbstsüchtig, denn er gibt auch im Gegenzug.
Ich wusste anfangs nicht, was mich erwarten würde und wurde angenehm überrascht. Die Geschichte hat mir sehr gut gefallen und ich hätte sehr gerne mehr über Alec und Josh erfahren. Vor allem hätte ich gerne gewusst, wie es mit ihnen weiter ging und was sie in der Zukunft erwartete, denn ihre Beziehung zueinander ist trotz allem etwas kompliziert.
Dass die Geschichte von Vampiren und Werwölfen bevölkert ist, ließ sie mich eher an Fantasy als an eine Utopie denken. Ein etwas seltsamer Umstand, der aber dann doch OK für mich war, da mich die Story mitriss und mir auch der Stil Vanessas sehr gut gefiel.
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Ich hätte mir insgesamt etwas mehr Vielfalt in den Geschichten gewünscht, da sie alle ausschließlich homosexuelle Männer in den Vordergrund stellen, was ich ein wenig bedauerlich fand. Aufgrund des Inhalts der Geschichten hätte auch der Titel „Touch of Dystopia“ gepasst, da die Storys nicht durchweg positiv sind und keine strahlende Zukunft versprechen. Ich mochte das sehr, da mich die glattpolierten Friede-Freude-Eierkuchen-Geschichten langweilen und ich viel mehr mit Leid, Zerstörung und Hoffnungslosigkeit anfangen kann.
Von mir gibt es eine Empfehlung für dieses Buch, auch wenn mich eine Geschichte nicht überzeugt hat und mir die Vielfalt in den Geschichten fehlte.
Erscheinungsdatum: 13. November 2022
Seitenzahl Taschenbuch: 403